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Renaturierung des Urselbachs und an der Nidda – wichtige Fragen bleiben vorerst unbeantwortet

Vorlagentyp: ST Magistrat

Inhalt

S A C H S T A N D : Stellungnahme des Magistrats vom 01.12.2004, ST 1227 Betreff: Renaturierung des Urselbachs und an der Nidda - wichtige Fragen bleiben vorerst unbeantwortet 1. Mit dem naturnahen Umbau der Nidda wird das Ziel verfolgt, a) der Bestimmung des § 59(2) des Hessischen Wassergesetzes gerecht zu werden, nach dem "nicht naturnah ausgebaute natürliche Gewässer [. .] in einem angemessenen Zeitraum wieder in einen naturnahen Zustand zurückzuführen" sind und b) die Vorgaben der im Jahr 2000 erlassenen Europäischen Wasserrahmenrichtlinie (EU-WRRL) bezüglich der Durchgängigkeit und Struktur der Gewässer umzusetzen. Die bestehende Hochwassersicherheit der Nidda darf dabei weder an der Umbaustelle noch am weiteren Flusslauf verschlechtert werden; die Grundwasserstände müssen unverändert bleiben. Die Ziele "Hochwasserschutz" und "ökologische Verbesserung" haben gleichen Rang. 2. a) Mit dem Umbau der Urselbachmündung wird erreicht, dass der Bach insgesamt wieder mit der Nidda verbunden wird. Nachdem in den vergangenen Jahren bereits am Niederurseler Bachabschnitt Abstürze ehemaliger Mühlenwehre in raue Sohlrampen umgewandelt wurden, die von den im Bachwasser lebenden Organismen passiert werden können, soll nun durch den Abbau des Sohlabsturzes an der Urselbachmündung die Verbindung zwischen Nidda und Urselbach wieder hergestellt werden und somit eine Besiedlung des Baches vom Fluss aus ermöglicht werden. Fische sind als wandernde Tierarten in diesem Zusammenhang als Leitarten zu sehen, das heißt, sie stehen stellvertretend für eine Reihe von anderen Organismen, dies sind vor allem Wirbellose wie Flohkrebse und Wasserkäfer oder Larven von Libellen, Steinfliegen und Köcherfliegen. b) Das gleiche gilt für die Nidda: Durch die Wiederherstellung des verfüllten Altarmes als Umfluter, in den der Urselbach künftig münden soll, wird erreicht, dass das Eschersheimer Wehr, heute für Fische und andere Tiere ein unüberwindliches Hindernis, keine Barriere mehr sein wird. Absicht ist es, durch den Umbau auch der anderen Wehre die Nidda insgesamt wieder zu einem "passablen" Fluss zu machen und sie und ihre Nebengewässer mit dem Main zu vernetzen. Fischtreppen im herkömmlichen Sinn, also hintereinander angeordnete, von Wasser durchströmte Betonbecken, werden heute kaum noch gebaut, da sich herausgestellt hat, dass sie ihrem Zweck nur eingeschränkt gerecht werden. Auch Fisch"treppen" neueren Typs, etwa Vertical-Slot-Fischpässe oder Mäander-Fischpässe, sind problematisch, da sie im Unterwasser keine ausreichende Leitströmung erzeugen, die den Fischen den "richtigen" Weg flussaufwärts weisen könnte - der am Iffezheimer Rheinwehr vor einigen Jahren errichtete Fischpass wurde daher eigens mit einer Turbine versehen, die diese Lockströmung erzeugt. Wo immer technische und räumliche Möglichkeiten dies erlauben, werden heute Fischaufstiegshilfen als "raue Sohlrampen" und/oder "Umgehungsgerinne" angelegt. Diese entsprechen eher den natürlichen Bedingungen in einem Fließgewässer und sind folglich am funktionstüchtigsten: Solche naturnahen Fischaufstiegsanlagen "werden den biologischen Anforderungen an die Vernetzung von Fließgewässern (. .) wesentlich besser gerecht als (. .) technische Bauweisen" urteilte 1996 der Deutsche Verband für Wasserwirtschaft und Kulturbau e. V. in einer breit angelegten Untersuchung über Bemessung, Gestaltung und Funktionskontrolle von Fischaufstiegshilfen. Am Urselbach wurde mit einer fischbiologischen Untersuchung die Tauglichkeit einer am Abzweig des Obermühlgrabens in Niederursel errichteten Sohlrampe bereits nachgewiesen. Da die Bau- und vor allem die Unterhaltungskosten einer im Wesentlichen aus einer Steinschüttung bestehenden Sohlrampe niedriger sind als die einer aufwändig aus Beton erbauten und im Wochenabstand zu reinigenden herkömmlichen Fischtreppe, fiel auch bei der Planung der Umgestaltung des Absturzes an der Urselbachmündung die Wahl auf diese naturnahe Methode. c) Landschaftsästhetische und -historische Gründe bestimmen ein weiteres Ziel des geplanten Umbaus: Es geht darum, das schon nach der Niddakorrektur Ende der zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts von dem damaligen Frankfurter Gartenamtsdirektor Max Bromme beklagte "Gepräge eines mehr oder weniger begradigten Kanals mit gleichförmig steilen, im unteren Teil durch Steinpackung befestigten Böschungen" so zu verändern, dass die Nidda innerhalb der durch die Anforderungen der Hochwassersicherheit gesetzten Grenzen wieder den Charakter eines Fließgewässers erhält. Soweit dies ohne Eingriff in die bestehende Bausubstanz möglich ist, wird der Altarm der Nidda wieder hergestellt, der mit dem Bau des Wehres verfüllt worden war. d) Ziel ist es auch, im Rahmen des Umbaus am in Fließrichtung gesehen rechten Urselbachufer einen Weg herzustellen, der es Spaziergängern erlaubt, von der Straße "An der Sandelmühle" aus an die Nidda zu gelangen. 3. Generelle Grundlage für die Planung ist das Entwicklungskonzept "Naturnahe Nidda". Es wurde im Auftrag des Wasserverbandes Nidda erarbeitet, im Dezember 1995 vorgelegt und von der Niddakonferenz, also dem Zusammenschluss der Nidda-Anrainer, verabschiedet. Grundlage des Entwicklungskonzeptes waren alle bis zum damaligen Zeitpunkt für die Nidda vorliegenden Untersuchungen, Studien und Planungen. Hier seien davon nur die für die in Rede stehende Maßnahme wichtigsten genannt: In der "Bestandserfassung der Fischfauna in der Nidda im Stadtgebiet von Frankfurt/M." wurde 1989 nachgewiesen, dass die Niddawehre den Fischwechsel fast völlig unterbinden. In der Studie "Naturnahe Umgestaltung der Nidda im Stadtgebiet von Frankfurt am Main", der so genannten Wehrstudie, wurde 1993 die Machbarkeit des naturnahen Umbaus der Niddawehre nachgewiesen und in Prinzipienskizzen vorgeschlagen. Als Maßnahmenziel für den Bereich der Urselbachmündung sieht das Entwicklungskonzept die "Renaturierung des Gewässers" vor, als Ausführungsmaßnahmen die "Naturnahe Gestaltung von Nebengewässern, insbesondere Gräben", die "Anbindung und Reaktivierung von Flutmulden oder Altwässern" sowie die "Beseitigung baulicher Anlagen". Auf dieser Grundlage wurde bis zum März 2004 die Planung zur "Wiederherstellung der Durchgängigkeit am Wehr Eschersheim" erstellt. Sie basiert auf den erwähnten prinzipiellen Erwägungen, stützt sich auf 1993 für die Nidda sowie 1993, 1995 und 2001 für den Urselbach berechnete maßgebende Abflussmengen und weist mittels hydraulischer Berechnungen nach, dass in den geplanten Profilen sowohl die Nidda als auch der Urselbach im hier betrachteten Bereich ein Hochwasserereignis abführen kann, das ein statistisches Wiederkehrintervall, also eine "Jährlichkeit", von 100 Jahren hat; für die Nidda stellt dies eine Erhaltung der bestehenden Hochwassersicherheit dar, für den Unterlauf des Urselbaches eine erhebliche Verbesserung dieser Sicherheit, denn zur Zeit vermag der Bach oberhalb der Campingplatzbrücke nur ein 5-10 jährliches Hochwasser abzuführen, unterhalb der Brücke fasst er heute das Wasser eines etwa 30 jährlichen Ereignisses. 4. Der Urselbach muss tiefer gelegt und verbreitert werden, um a) wie unter Punkt 3 beschrieben die Hochwassersicherheit zu verbessern und weil b) die Sohle des Urselbaches heute höher liegt als der Niddawasserspiegel im Oberwasser des Wehres. Eine "Renaturierung" wird hiermit ausdrücklich nicht angestrebt, wohl aber ein gegenüber den heutigen Verhältnissen naturnäherer Zustand. Dies wird erreicht durch die Entfernung der Sohlbefestigung des Urselbaches, durch den Umbau des Absturzes an der Urselbachmündung zu einer rauen Sohlrampe, durch die flachere Gestaltung der Ufer im unteren Abschnitt des Urselbachlaufes, durch eine natürliche Ufersicherung mit Gehölzen und schließlich dadurch, dass ein Wechsel von Organismen aus dem Urselbach in die Nidda und umgekehrt möglich wird. 5. a) Urselbach: Durch die Tieferlegung der Sohle, durch die erhebliche Verbreiterung des Baches und durch den Umbau der Brücke am Campingplatz erhöht sich das Abflussvermögen; der Urselbach kann nach dem Ausbau ein 100jährliches Hochwasser abführen, siehe Punkt 3. Die Maßnahme selbst dient also auch dem Hochwasserschutz. b) Nidda: Im Unterwasser des Eschersheimer Wehres gibt es keine Veränderungen, da sich weder an der Existenz und der Betriebsweise des Wehres noch an den insgesamt ankommenden Wassermengen etwas ändern wird. Die Hochwassersicherheit bleibt in dem bestehenden Maße erhalten. 6. Da, wie in der Antwort 5) dargestellt, der naturnahe Umbau des Eschersheimer Wehres selbst insgesamt eine Verbesserung der Hochwasserschutzsituation mit sich bringt, sind keine weiteren Hochwasserschutzmaßnahmen vorgesehen. 7. Die Aussage ist im übertragenen Sinne zu verstehen: Es gibt keine absolute Hochwassersicherheit; folglich kann es an Gewässern auch zu Überschwemmungen kommen. 8. Aus den Daten, die der Deutsche Wetterdienst für die Beobachtungsstation am Frankfurter Flughafen veröffentlicht, ist für die letzten Jahre weder eine signifikante Abweichung der Jahres- und Monatsniederschlagssummen vom langjährigen Mittel zu erkennen noch eine aussagekräftige Veränderung der für Hochwasserereignisse bedeutsamen Maxima der täglichen Niederschlagshöhen. Klimamodelle für die Jahre 2050-2070 oder 2070-2100 - etwa des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, des Deutschen Wetterdienstes oder des Max-Planck-Instituts für Meteorologie - weisen zwar belastbare überregionale Trends aus (Verschiebung des Jahresniederschlags mehr in den Winter, mehr Starkregen im Sommer), erlauben aber regional - zum Beispiel für das Einzugsgebiet der Nidda - oder gar lokal - für das Einzugsgebiet des Urselbachs - keine Aussagen zu Veränderungen von Regenereignissen bestimmter Dauerstufen, etwa des 100 jährlichen Regens. 9. Der Magistrat hat auf der Grundlage der Auswertung des Hochwasserereignisses vom 2. Januar 2003 der Stadtverordnetenversammlung berichtet, dass er die derzeit für die Bürger an Frankfurter Flüssen und Bächen bestehende Hochwassersicherheit für ausreichend hält; Magistratsbericht B 569 vom 11. Juli 2003. Das Januarhochwasser 2003 hatte an der Nidda eine größere Jährlichkeit als 100. Zur Ermittlung von Hochwasser-Problembereichen und zur Abstimmung von Schutzmaßnahmen wird jedoch vom Umweltamt, Untere Wasserbehörde, auf der Grundlage des Beschlusses der Stadtverordnetenversammlung vom 27. Februar 2003, § 4879, ein Hochwasserschutzkonzept erarbeitet. In dieses Konzept werden auch Überlegungen zu den Jährlichkeiten der Hochwasserereignisse eingehen. Der Magistrat wird nach Vorliegen des Konzeptes den Stadtverordneten und den Ortsbeiräten unaufgefordert darüber berichten, vgl. Magistratsbericht B 374 vom 7. Juni 2004, § 7536 Stvv vom 15. Juli 2004. 10. Mit der derzeit verfolgten Planung wird die Möglichkeit eines späteren Abbaus der Nidda-Wehre Eschersheim und Praunheim gewahrt; der Abbau dieser Wehre ist zur Zeit jedoch vom Magistrat nicht beabsichtigt. 11. Mit dem Abbau der genannten Wehre ist nur sehr langfristig zu rechnen. Die beweglichen Wehre müssten durch ein festes Streichwehr ersetzt werden und der Flusslauf der Nidda erheblich ausgeweitet werden. Es liegen dazu keine Planungen vor, folglich können auch keine Kosten genannt werden. 12. Der Magistrat hat in dem Vortrag an die Stadtverordnetenversammlung, M 88, vom 15.05.1998 unter dem Titel "Entwicklungskonzept ‚Naturnahe Nidda'" zum Niddaabschnitt 8 zwischen Maybachbrücke Eschersheim und Autobahn 661 die mit dem Entwicklungskonzept langfristig verfolgten Ziele vorgetragen: "Gewässer und Ufer: - Renaturierung der Nidda - Naturnahe Umgestaltung Urselbachmündung - Umbau des Eschersheimer Wehres Aue und übrige Bereiche: - Revitalisierung der Aue im Bereich Campingplatz/Urselbachmündung - Erhaltung eines naturnahen Zustandes im Bereich Riedwiese - Teilverbesserung der strukturellen Ausstattung durch Entwicklung standortgerechter Nutzungen im Bereich nördlich des Eschersheimer Freibades" Der Ortsbeirat 8 hat der Vorlage M 88 in der 13. Sitzung der VII. Wahlperiode am 25.06.1998 ebenso zugestimmt wie mit § 2700 die Stadtverordnetenversammlung am 17.09.1998. Da sich an der Zielsetzung nichts geändert hat, ist diesbezüglich kein erneuter Magistratsvortrag erforderlich. Die sich aus der Weiterführung des Entwicklungskonzeptes ‚Naturnahe Nidda' ergebenden Einzelheiten der Planung wurden dem Ortsbeirat 8 durch die Stadtentwässerung Frankfurt am Main am 2. Sep. 2004 vorgestellt. Zu dem Vorhaben "Wiederherstellung der Durchgängigkeit am Wehr Eschersheim" wird der Magistrat der Stadtverordnetenversammlung einen Magistratsvortrag vorlegen. Vertraulichkeit: Nein dazugehörende Vorlage: Auskunftsersuchen vom 30.09.2004, V 1279 Anregung an den Magistrat vom 26.09.2013, OM 2527 Auskunftsersuchen vom 28.05.2020, V 1646