Erfahrungsbericht der Koordinierungsstelle Kinder zur Lebenssituation Frankfurter Kinder
Bericht
Das Frankfurter Kinderbüro berichtet als kommunale Kinderinteressensvertretung regelmäßig über ausgewählte Aspekte der Lebenssituation Frankfurter Kinder. Im hier vorliegenden Bericht werden die Untersuchungsergebnisse der Frankfurter Kinderstudie 2019 zum Thema ‚Beteiligung von Kindern beim Essen in Frankfurter Kindergärten' aus der Praxis des Frankfurter Kinderbüros beleuchtet und eingeordnet. Die Datenerhebung für die Frankfurter Kinderstudie 2019 fand zwischen Oktober 2018 und April 2019 in vier Kindertageseinrichtungen in Frankfurt am Main statt. Es wurden in jeder Einrichtung drei qualitative Erhebungsmethoden angewendet: teilnehmende Beobachtung, Gruppeninterviews mit 4- und 5-jährigen Kindern und Gruppendiskussionen mit Fachkräften. Wie beteiligen sich Kindergartenkinder an der Gestaltung von Essenssituationen im Kindergarten? Welche Spielräume gestehen ihnen die Erwachsenen zu? Wie beurteilen Kinder und Fachkräfte Partizipationschance und Partizipationsgrad? Das sind die erkenntnisleitenden Fragen der vorgelegten Studie. Die erhobenen Daten werden in Einrichtungsporträts dargestellt. Die Portraits geben Auskunft über die Organisation und Gestaltung sowie das Erleben von Essenssituationen, insbesondere aus der Kinderperspektive. Zentrale Essensaspekte, die in allen Einrichtungen Bedeutung haben, werden zusammenfassend dargestellt. Dazu gehört die Auswahl der Speisen, das Eindecken und Abräumen der Tische, die Platzwahl, das Portionieren und Probieren sowie die herrschende Tischkultur und die Regeln, die am Tisch gelten. Die untersuchten Einrichtungen zeigen dabei Gemeinsamkeiten, aber auch deutliche Unterschiede im Umgang mit diesen Essensaspekten. Der vorliegende Erfahrungsbericht baut auf den Erkenntnissen der Erfahrungsberichte seit 2012 auf, insbesondere auf dem Bericht 2016 ‚Beteiligung von Kindern im Kindergarten'. In der quantitativen Studie 2016 wurden 4- und 5-Jährige im Kindergarten unter anderem zu ihren Einschätzungen gefragt, wie sie ihre Beteiligung in Essenssituationen wahrnehmen. Die Antworten der Kinder warfen tiefergehende Fragen auf: Wie kommen Kinder im Alter von vier und fünf Jahren zu den von ihnen geäußerten Überzeugungen? Warum antworteten 61,2% der befragten Kinder, dass sie ihren Teller im Kindergarten leer essen müssen? Warum antworteten nur 31,4 % der Kinder, dass sie ein Mitspracherecht bei der Auswahl des Essens haben? Und warum stieg der Anteil von Kindern, die sagten, dass sie ihren Teller leer essen müssen, sogar auf 75%, wenn sie gleichzeitig sagten, dass sie ein Mitspracherecht bei der Essenauswahl haben? Vor dem Hintergrund, dass bereits 6,7% aller Frankfurter Kinder bei den Schuleingangsuntersuchungen 2015/2016 übergewichtig waren und 3,9% sogar adipös waren, muss es ein Forschungsanliegen sein, mehr über die Gestaltung von Essenssituation im Kindergarten zu erfahren. Wird der Zusammenhang zwischen Übergewicht und weiteren soziodemografischen Merkmalen hergestellt, wird noch offensichtlicher, dass hier ein Handlungsauftrag begründet ist: Kinder mit einem Migrationshintergrund und aus schlechter gestellten Stadtteilen tragen ein höheres Risiko, übergewichtig oder adipös zu werden. Bedenkt man, dass die meisten der Kinder zum Zeitpunkt der Schuleingangsuntersuchung erst zwischen 6 und 6 1/2 Jahren alt waren, tritt die Dringlichkeit des Themas noch deutlicher hervor. Die meisten Kindergartenkinder nehmen im Durchschnitt Frühstück, Mittagessen und Nachmittagssnack an fünf Tagen der Woche ein. Kindergärten tragen damit wesentlich zur Nahrungsversorgung bei bzw. haben auch großen Einfluss auf die Ernährungssituation der Kinder. Die Gestaltung von Essenssituationen berührt nicht nur gesundheitliche Fragen. Ebenso spielen religiöse, nachhaltige, soziale, kulturelle und wirtschaftliche Fragen eine Rolle. Essen ist im Kindergarten täglich mehrfach gelebte Praxis und Pädagogik, also Alltag. Frühstück, Mittagessen und Snacks rhythmisieren den Tagesablauf. Viele Entscheidungen müssen getroffen werden, was gegessen wird, wie gegessen wird und was nach dem Essen geschieht. Jede dieser Entscheidungen kann Kinder sowohl Selbst- als auch Mitbestimmungsmöglichkeiten eröffnen. Diese reichen von der selbstbestimmten Verweigerung von Nahrung bis hin zur Mitbestimmung des Mittagessens für die ganze Einrichtung. Essen ist ein existenzielles Thema. Der Umgang von Fachkräften basiert sowohl stark auf biografischen als auch kulturellen Aspekten. Die Ergebnisse zeigen, dass Essenssituationen oft organisch und wenig gesteuert gestaltet werden. Dies betrifft den Umgang mit Selbst- und Mitbestimmungsmöglichkeiten von Kindergartenkindern im besonderen Maß. ...