Droht der historischen Wertheim-Villa die Abrissbrine?
Vorlagentyp: A FRANKFURTER
Inhalt
S A C H S T A N D :
Anfrage vom 11.03.2018, A 332 Betreff: Droht der historischen Wertheim-Villa die
Abrissbrine?
Das Haus Arnsburger Straße 1 (sowie die dazugehörigen
Hausnummern 3 und 3a) in Frankfurt-Bornheim wechselte vor kurzem wiederholt den
Besitzer. Das klassizistische Etagenhaus wurde im Jahre 1873 von dem
Frankfurter Stadtverordneten, Nähmaschinenfabrikanten und Mäzen Joseph Wertheim
(1834 - 1899)*** als Familiensitz errichtet. In der Frankfurter Bevölkerung
wurde das Gebäude - heutige Hausnummern 1, 3 und 3a - als
"Wertheim-Villa" bekannt. Am 09.03.2018 wurde nun, wie in den Medien verkündet
"Wegen Hochbauarbeiten die Arnsburger Straße zwischen Eichwaldstraße und
Habsburgerallee für ein Jahr zur Einbahnstraße umge-wandelt und die Poller an
der Kreuzung Eichwaldstraße / Arnsburger Straße entfernt." Alle Bewohner und auch die Betreiber des "Café
Wien" sind inzwischen aus dem Haus aus-gezogen. Fenster wurden teils
entfernt. Ferner wurde die Grundstücksummauerung nebst Zaun entfernt, um für
beginnende Bau- bzw. Abbrucharbeiten Platz zu schaffen. Dies vorausgeschickt, frage ich
den Magistrat: 1. Steht die im Jahre 1873
errichtete Wertheim-Villa unter Denkmalschutz? 2. Wenn ja - insgesamt oder nur
Gebäudeteile - welche? 3. Gibt es für die Villa Wertheim
einen Abrissantrag bzw. eine Abrissgenehmigung? 4. Wenn ja - was umfasst baulich
die Abrissgenehmigung? 5. Was ist vom Bauherrn auf dem
Areal der Wertheim-Villa geplant? 6. Wann wird ein öffentlich
einsehbares Bauschild nach § 10 Abs. 2 Hessische Bauordnung (HBO)
ausgehängt? 7. Wurde in Anbetracht der
historischen Bedeutung der Wertheim-Villa das Bauvorhaben schon dem zuständigen
Ortsbeirat 4 (Bornheim / Ostend) vorgestellt? *** Zur Geschichte der Wertheim-Familie Joseph
Wertheim: Stadtverordneter,
Nähmaschinenfabrikant und Mäzen Joseph Wertheim wurde 1834 in Rotenburg an der Fulda
in einer jüdischen Familie geboren. Nach einer Mechanikerlehre wanderte er als
20-Jähriger in die USA aus und arbeitete in der Nähmaschinenfabrik Wheeler
& Wilson. 1862 kam er nach Frankfurt und eröffnete eine Niederlassung.
Sechs Jahre später eröffnete er eine eigene Fabrik in der Burgstraße. Als
Firmenlogo wählte er den Zwerg mit Hammer. Seine Nähmaschinen eroberten von
Bornheim aus den südamerikanischen und australischen Markt. 1873 baute er auf
dem Eckareal Arnsburger Straße / Habsburgerallee eine Villa, dort wo heute das
Café Wien mit Süßem lockt. In der Burgstraße waren inzwischen 650 Arbeiter und
Angestellte beschäftigt und in Bonames wurde eine neue Eisengießerei eröffnet,
da es in Bornheim zu eng wurde. Sie zählte zu den modernsten Produktionsstätten
für Gusseisen in Europa. Niederlassung in Barcelona 1870 gründete Joseph in Barcelona eine
Zweigniederlassung, die 1920 in die Firma Rapida umgewandelt und 1943 von
Olivetti übernommen wurde. In Spanien produzierte man bis 1975 Nähmaschinen
unter dem Namen Wertheim. Stadtverordneter und Mäzen Wertheim engagierte sich auch sozial und in der
Kommunalpolitik. Er war einer der ersten Bornheimer, der nach der Eingemeindung
in den Frankfurter Römer einzog. Dort war er mit Unterbrechungen von 1877 bis
1890 Stadtverordneter. Als Mäzen unterstützte er den "Verein für
Genesungsanstalten", der im Taunus ein Alters- und Genesungsheim betrieb und
war Mitbegründer und Förderer der "Aktienbaugesellschaft für kleine Wohnungen";
die in die ABG Frankfurt Holding aufgegangen ist. Den Bornheimern stiftete er
im alten Burgblock gegenüber seiner Fabrik ein "Vereinshaus mit
Arbeiterbibliothek". Tod in Nizza 1899 starb Joseph Wertheim während eines
Kuraufenthaltes in Nizza. Er hinterließ zehn Kinder. Die Führung der
Firma hatte er zuvor seinen Söhnen übertragen. Firmenverlagerung nach Spanien Schon 1932 erkannten die Wertheims
die aufkommende Gefahr durch die Nazis und verlagerten die Produktion nach
Spanien. Dort war Karl Wertheim, der sich nun Carlos Vallin nannte, bis 1945
Geschäftsführer. 1936 wurde das Fabrikgebäude in Bornheim abgerissen. Auf ihn
errichteten die Nazis Wohnhäuser in die bevorzugt "verdiente Parteigenossen"
einzogen. Louis Wertheim: Asbestfabrik an der
Berger Straße Auch Joseph
Wertheims jüngerer Bruder Louis (Jahrgang 1838) suchte in Bornheim sein Glück.
Er gründete in der Berger Straße auf dem heutigen Gelände der Bornheimer
Volksbank eine Asbestwarenfabrik, die eine ähnliche Bedeutung für Frankfurt
erlangte wie die Nähmaschinenfabrik seines Bruders. 1874 produzierte er anfangs
Stopfbüchsen aus Baumwolle, später aus Asbestgewebe. Der Gewerbetrieb
entwickelte sich schnell zu einem Industrieunternehmen, das in der
Asbestproduktion eine europäische Führungsrolle einnahm. Auch Louis wurde es in
Bornheim zu eng. So errichtete er ein Zweigwerk in Niederrad. Zusammen mit dem
Stammwerk Bornheim beschäftigte er 300 Arbeiter in seinen Asbestwerken, die ab
1898 als "Frankfurter Asbestwerke KG" firmierten. Seine Nachfahren
wurden von den Nazis gezwungen ihren Betrieb an "arische" Eigentümer
zu verkaufen. Hugo Wertheim: Wohlstand und Ruhm in
Australien Hugo Wertheim,
Jahrgang 1854, heiratete seine Cousine beziehungsweise Joseph Wertheims Tochter
Sophie, ehe die beiden 1875 nach Australien auswanderten. Hugo brachte es in
seiner Wahlheimat Australien zu Wohlstand und Ehren. In Melbourne begann er als
Generalagent für die Nähmaschinen seines Schwiegervaters und eröffnete im
Vorort Richmond ein Kaufhaus, das sich zusätzlich auf Klaviere spezialisierte.
1908 gründete er dann eine eigene Klavierfabrik. Eine Straße in Melborne wurde
sogar nach ihm benannt. Hugo
und Sophie Wertheim hatten fünf Kinder. Ihr Sohn Rupert Carl (1893-1933)
spielte Tennis in der australischen Daviscupmannschaft und ihr Urenkel Jeff
Kennett, Jahrgang 1948, machte eine politische Karriere bis zum Premierminister
des Bundesstaates Victoria. Gegen das Vergessen Teile der Familie Wertheim wurden Opfer des
Holocaust. Paul Wertheim, ein Sohn Josephs, der sich in der Vereinswelt
engagierte und auch Bornheimer Karnevalsprinz war, erkannte zu spät die
aufkommende Gefahr. Er erschoss sich 1938 im Ostpark um dem Holocaust zu
entgehen. Die Nazis versuchten vergeblich den Namen Wertheim aus dem Gedächtnis
zu löschen. So entfernten sie im alten Burgblock die Steintafel mit der
Aufschrift: "Jos. Wertheim`sches Vereinshaus". Der Bürgerverein und Förderkreis
historisches Bornheim setzte sich dafür ein, dass 2007 in
Anwesenheit von Wertheim-Nachfahren, aus Australien und Spanien, wieder die
alte Steintafel feierlich angebracht wurde und das Andenken an eine großartige
Unternehmer- und Stifterfamilie bewahrt bleibt. Antragsteller:
FRANKFURTER
Antragstellende Person(en):
Stadtv. Bernhard
E. Ochs Vertraulichkeit: Nein dazugehörende Vorlage:
Bericht des
Magistrats vom 18.05.2018, B 152
Versandpaket: 14.03.2018 Aktenzeichen: 60 3